Unser Selbstverständnis

Sorgearbeit ist die Grundlage unseres Zusammenlebens. Deshalb ist beim Blick auf die gesellschaftliche Organisation von Arbeit die Sorge- und Hausarbeit in die Betrachtungen miteinzubeziehen, nicht zuletzt, weil sie zwischen Frauen und Männern ungleich verteilt ist: Frauen verrichten im Durchschnitt täglich 87 Minuten mehr Sorgearbeit als Männer und wenden damit mehr als anderthalbmal so viel Zeit dafür auf. Die Lücke in Bezug auf unbezahlte Sorge- und Hausarbeit zwischen Männern und Frauen, der Gender Care Gap, beträgt 52 Prozent, diejenige zwischen Müttern und Vätern in Paarhaushalten mit Kindern sogar 83 Prozent.

Erwerbsarbeit und das durch sie erzielte Einkommen sind in unserer Erwerbsarbeitsgesellschaft entscheidend dafür, den Lebensunterhalt zu verdienen, wirtschaftlich auf eigenen Beinen zu stehen und sozial abgesichert zu sein. Die Menge an Zeit, die wir für Erwerbsarbeit einsetzen, beeinflusst ihrerseits die Möglichkeiten, Erwerbsarbeit, Familie und alle anderen Lebensbereiche in Einklang zu bringen.

Im Unterschied zur Übernahme finanzieller Verantwortung für sich und andere durch bezahlte Erwerbsarbeit ist die Übernahme sozialer Verantwortung in Form von privat geleisteter Sorge- und Hausarbeit (die sogenannte Reproduktionsarbeit) unbezahlt. Gleichwohl ist Sorgearbeit die Voraussetzung für Erwerbsarbeit, für die Reproduktion von Arbeitskraft und die Erwirtschaftung von Gewinnen. Sie ist gesellschaftlich und ökonomisch notwendige Arbeit. Sorgearbeit umfasst nach der Definition der Sachverständigenkommission für den Zweiten Gleichstellungsbericht der Bundesregierung „alle Tätigkeiten der Pflege, Zuwendung und Versorgung für sich und andere“. Als Individuum, als Gesellschaft und als Volkswirtschaft sind wir alle auf diese lebensnotwendigen Tätigkeiten angewiesen.

Strukturelle, gesetzliche und betriebliche Rahmenbedingungen, wie zum Beispiel im Steuer- und Sozialrecht, die Bewertung von Arbeit sowie unzureichende Betreuungsangebote für Kinder und Pflegebedürftige setzen Anreize mit der Wirkung, dass Männer und Frauen nicht gleichermaßen in die Lage versetzt werden, im Lebensverlauf Erwerbs- und Sorgearbeit nach ihren Vorstellungen zu gestalten. Gleiche Chancen auf wirtschaftliche Eigenständigkeit und Existenzsicherung und die Möglichkeit, Sorgearbeit zu leisten, sind in Deutschland noch immer nicht verwirklicht.

Konsequenzen der ungleichen Verteilung

Für viele Frauen sind die ökonomischen und sozialen Folgen der geschlechtertypischen Arbeitsteilung (und Arbeitszeitverteilung) schwerwiegend. Dazu gehören Einkommensverluste, eingeschränkte berufliche Perspektiven, unzureichende soziale Absicherung von Lebensrisiken, wie zum Beispiel bei Trennung oder Scheidung, und im Alter. Sie verhindern die selbstbestimmte Erwerbs- und Lebensgestaltung von Frauen. In der Regel übernehmen Frauen, insbesondere wegen der Versorgung kleiner Kinder und wegen Pflege, den überwiegenden Teil der Sorgearbeit und verzichten auf eine existenzsichernde Erwerbstätigkeit.

Für die meisten Männer ist die Rolle als Allein- oder Hauptverdiener des Familienunterhalts noch immer selbstverständlich; für Sorge- und Hausarbeit bleibt in der Regel wenig Raum und Zeit. Allerdings ist dies nicht immer selbst gewählt. Dort, wo Männer mehr familiale Sorge- und Hausarbeit übernehmen und deswegen ihre Erwerbsarbeitszeit reduzieren oder berufliche Auszeiten nehmen, stoßen viele auf Unverständnis, Spott und Widerstand. Rollenstereotype und gesellschaftliche Erwartungen behindern auch ihren selbstbestimmten Lebensentwurf. Sie verhindern zugleich, dass mehr Männer sich an diesen wichtigen Aufgaben beteiligen, in der Sorge für sich und andere wertvolle Erfahrungen machen, und veränderte gesellschaftliche Bilder fürsorglicher Männlichkeit entstehen.

„Rollenstereotype und gesellschaftliche Erwartungen behindern selbstbestimmte Lebensentwürfe – sowohl von Frauen als auch von Männern.“

Gesellschaftlich zeigen sich die Konsequenzen der ungleichen Verteilung bezahlter und unbezahlter Arbeit zwischen den Geschlechtern in der ungleichen Verteilung von Einkommen und Vermögen, beruflicher Positionen sowie politischer und ökonomischer Macht. Die gesellschaftliche Anerkennung und Wertschätzung der Sorge- und Hausarbeit steht in keinem Verhältnis zu deren gesellschaftlicher und ökonomischer Bedeutung.

Gleiche Verwirklichungschancen für alle Geschlechter zu gewährleisten, erfordert den Abbau struktureller Benachteiligungen und geschlechterstereotyper Vorstellungen. Sorge- und Erwerbsarbeit müssen – unabhängig von Geschlecht, Herkunft, Familienform, sexueller Orientierung oder sozialem Status – als selbstverständliche Elemente weiblicher wie männlicher Lebensverläufe begriffen und möglich gemacht werden, ohne dass dies zu individueller Überforderung führt. Die Mitglieder des zivilgesellschaftlichen Bündnisses „Sorgearbeit fair teilen“ schließen sich zusammen, um den Blick auf die gesellschaftliche Organisation von Arbeit zu weiten und Erwerbs- und Sorgearbeit zusammenzudenken. Das Bündnis versteht sich als Netzwerk, das den Austausch und den gegenseitigen Transfer von Wissen pflegt, gemeinsame Aktionen initiiert, den gesellschaftlichen Wert der unbezahlten Sorge- und Hausarbeit öffentlich sichtbar macht und auf deren volkswirtschaftliche Bedeutung hinweist. Ziel des Bündnisses ist es, die geschlechtergerechte Verteilung von Erwerbs- und Sorgearbeit zu fördern und darauf hinzuwirken, dass sich die Sorgelücke schließt (ein Auszug aus dem Statut des Bündnisses steht hier zum Download bereit).

Auf dieser Grundlage und zu diesem Zweck unternehmen die Mitgliedsorganisationen folgende Schritte:

  1. Das Bündnis „Sorgearbeit fair teilen“ sensibilisiert Politik, Wirtschaft und Gesellschaft für das Thema der gerechten Verteilung von Sorgearbeit zwischen den Geschlechtern und dafür, wie Sorgearbeit gesamtgesellschaftlich organisiert ist.
  2. Das Bündnis begleitet und forciert den gesellschaftlichen und politischen Diskurs.
  3. Das Bündnis diskutiert und formuliert Forderungen an die politischen Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger.
  4. Das Bündnis sucht das Gespräch mit Politik, Wirtschaft und anderen zivilgesellschaftlichen Akteuren (Lobbyarbeit).
  5. Das Bündnis begleitet seine Arbeit mit einer abgestimmten Öffentlichkeitsarbeit, die dazu beiträgt, das Thema bekannter und dessen Relevanz bewusst zu machen sowie die Implementierung notwendiger Veränderungen voranzutreiben.